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Beitrag vom 30.09.2010
Der Internationale Literaturpreis - Haus der Kulturen der Welt 2010 geht an Marie Ndiaye, der ÃœbersetzerInnenpreis an Claudia Kalscheuer
AVIVA-Redaktion
Für ihren Roman "Drei starke Frauen" ("Trois femmes puissantes") wurde die Schriftstellerin am 29. September mit dem mit 25.000 Euro dotierten Preis ausgezeichnet, für die Übersetzung des Werks...
... aus dem Französischen erhielt Claudia Kalscheuer den mit 10.000 Euro dotierten ÜbersetzerInnenpreis.
Der "Internationale Literaturpreis – Haus der Kulturen der Welt" ist die zweite Auszeichnung, die Marie NDiaye für ihren Roman "Drei starke Frauen" erhält. Sie wurde für dieses Werk bereits 2009 mit dem Prix Goncourt, einem der begehrtesten Literaturpreise Frankreichs ausgezeichnet. Die Schriftstellerin veröffentlichte mit knapp 18 Jahren ihren ersten Roman "Quant au riche avenir" ("Was die reiche Zukunft betrifft") und gilt seither als Wunderkind der französischen Gegenwartsliteratur, sie hat über 20 Werke, darunter Novellen, Romane und Theaterstücke geschrieben.
Der vom "Haus der Kulturen der Welt" ausgezeichnete Roman "Drei starke Frauen" erzählt die Geschichte von Norah, Fanta und Khady, die zwischen den Kontinenten Europa und Afrika stehen. Die Anwältin Norah reist aus Frankreich auf Wunsch ihres Vaters nach Afrika, um ihren Bruder aus dem Gefängnis zu holen. Fanta hingegen verlässt mit ihrem französischen Mann und ihrem Sohn das afrikanische Senegal. Doch in Frankreich erfüllen sich ihre Träume von Reichtum und Freiheit nicht, sie hat mit ihrer Arbeitslosigkeit und der Unzufriedenheit ihres Mannes zu kämpfen. Auch Khady emigriert nach Europa, doch ihr Heimatland verlässt sie nicht freiwillig. Von ihrer Familie wird sie, da sie mit Anfang 20 verwitwet ist, als nutzlos erachtet und auf den gefährlichen Weg nach Europa geschickt. Kunstvoll verwebt die Autorin die Lebensgeschichten der Frauen miteinander und verweist subtil auf das Spannungsfeld zwischen Senegal und Frankreich, Entwurzelung und Heimat, Weggehen und Heimkehr.
Die Schriftstellerin hat selbst Wurzeln in Senegal und kennt die Erfahrung von Emigration. Sie wurde 1967 in Pithiviers, südlich von Paris, als Tochter einer französischen Mutter und einem senegalesischen Vater geboren. Ihren Vater lernte sie erst im Alter von elf Jahren kennen und reiste mit 18 das erste Mal in dessen afrikanische Heimat. Heute lebt sie mit ihrem Ehemann und ihren drei Kindern in Berlin. Frankreich empfand sie 2007 nach der Wahl von Staatschef Nicolas Sarkozy als "monströs" und zog daraufhin in die deutsche Hauptstadt.
Begründung der Jury für die Auszeichnung des Romans "Drei starke Frauen"
Die diesjährigen JurorInnen des "Internationalen Literaturpreises - Haus der Kulturen der Welt" waren Christian Döring (Lektor und Herausgeber der "Anderen Bibliothek"), Gregor Dotzauer (Literaturkritiker "Der Tagesspiegel"), Ottmar Ette (Literaturwissenschaftler, Universität Potsdam), Sigrid Löffler (Literaturkritikerin), Katharina Narbutoviè (Leiterin Berliner Künstlerprogramm des DAAD), Peter Ripken (Vorstandsvorsitzender ICORN – International Cities of Refuge Network) und Susanne Stemmler (Literaturwissenschaftlerin und Leiterin Bereich Literatur, Haus der Kulturen der Welt), sie begründeten ihre Entscheidung für den Roman von Marie Ndiaye wie folgt:
"Marie NDiayes `Drei starke Frauen´ ist ein subtiles, dicht geschriebenes, in seiner sprachlichen Ausgestaltung einen starken Sog entfaltendes Buch über gestörte Beziehungen, emotionale Abhängigkeiten und unerhörte Abgründe innerhalb der Familie: eine fein austarierte Choreographie von verstörenden Annäherungs- und Abstoßungsprozessen, deren Motiv nicht umsonst die Hitchcockschen Vögel sind. Und damit führt der Roman vor, was Schreiben jenseits der althergebrachten Kategorien von Heimat und Herkunft sein kann: `Weltkulturliteratur´ jenseits von Migration und Exil, die eine neue grenzüberschreitende Formensprache vorantreibt."
Neben der Autorin Marie NDiaye wurde auch Claudia Kalscheuer, die den Roman "Drei starke Frauen" aus dem Französischen übersetzte, für ihre Arbeit ausgezeichnet. Die 1964 in Berlin geborene Literaturübersetzerin übertrug bereits Werke von Alexander von Humboldt, Véronique Ovaldé, Marcelle Sauvageot, Jules Verne und Gabrielle Wittkop aus dem Französischen ins Deutsche.
Aus der Jurybegründung für die Übersetzerin Claudia Kalscheuer:
"Claudia Kalscheuer ist es gelungen, den fein austarierten, halb alptraumhaften, halb surrealen Rhythmus des Textes im Deutschen abzubilden. Sie folgt sehr genau den Satzbewegungen des französischen Originals, wählt aber an den entscheidenden Stellen Möbiusschleifen, setzt Inversionen, reduziert die Zahl der Alliterationen, ohne ihr poetisches Moment auch nur im Entferntesten aufzugeben, und schreibt auf diese Weise ihrer Übertragung die deutsche Sprachmelodie ein, lädt sie mit exakt dem gleichen dichten, verstörenden Rhythmus auf, den das Original der `Drei starken Frauen´ auszeichnet. Und dies ist eine Meisterleistung."
Die Festrede im "Haus der Kulturen der Welt" hielt die Schriftstellerin Sibylle Lewitscharoff. Als Vertreterin der Jury stellte Sigrid Löffler zusammen mit dem Moderator des Abends Denis Scheck (Literaturkritiker, "Druckfrisch") die nominierten KandidatInnen Edouard Glissant "Das magnetische Land", Yasmina Khadra "Die Schuld des Tages an die Nacht", Yiyun Li "Die Sterblichen", Shahriar Mandanipur "Eine iranische Liebesgeschichte zensieren", Dinaw Mengestu "Die Melodie der Luft", Daniyal Mueenuddin "Andere Räume, andere Träume" und Marie NDiaye "Drei starke Frauen" vor. Die Preise übergaben Jan Slovak, der Stifter des Preises und Bernd M. Scherer, Intendant des "Hauses der Kulturen der Welt". Im Anschluss an die Preisübergabe lasen die Autorin und der Schauspieler Jan Josef Liefers Auszüge aus dem preisgekrönten Roman.
Weitere Infos zur Autorin Marie NDiaye finden Sie unter:
www.suhrkamp.de
Weiterlesen auf AVIVA-Berlin:
"Marie NDiaye - Drei starke Frauen"
"Rosie Carpe - ein Roman von Marie NDiaye"
"Marie NDiaye erhält den Prix Goncourt 2009"
Das Foto von Marie NDiaye wurde uns freundlicherweise vom Suhrkamp Verlag zur Verfügung gestellt. Die Bildrechte liegen bei Catherine Hélie / Editions Gallimard.